Für Heinrich

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Ich lebe in einem Dorf auf dem Land. Anonymität gibt es nicht. Jeder kennt jeden. Ich betrachte das als großen Vorteil. Auch wenn es manchmal Herausforderungen mit sich bringt, wenn einige Menschen meine Motive nicht verstehen. Dann kommt es vor, dass mich meine Tochter am Mittagstisch fragt, warum „die Mama von Lieschen Müller“ sagt, ich sei ein „Menschenfänger.“
Das kann im ersten Moment unangenehm sein. Zum Beispiel, wenn Lieschen Müller meint, das „Menschenfänger“ etwas negatives und meine Tochter deswegen rechtfertigungspflichtig sei.
Warum mute ich meinen Kindern das zu? Mute ich ihnen überhaupt etwas zu?
Zugegeben, es wäre einfach, solche Herausforderungen zu vermeiden. Indem ich (mit meiner Familie) einen „angepassten“ Lebensstil führe. Wobei „Anpassung“ soviel bedeutet wie „die Erwartungen der Umgebung erfüllen“.
Dogs don’t bark at parked cars,“ sagt ein guter Freund aus Amerika, was soviel bedeutet wie „nur wer sich nicht bewegt, wird von den Hunden in Ruhe gelassen und nicht angekläfft.“ Doch das wäre kein Big Five for Life Leben.
Nein, zumuten würde ich meinen Kindern etwas, wenn ich mir von außen vorschreiben lassen würde, welche Dinge akzeptabel sind. Immerhin ist es eines meiner Big Five for Life, ihnen – meinen Kindern – dabei zu helfen, ihr ganz persönliches Potenzial auszuschöpfen und damit ein Leben führen, in dem sie tun, sehen und erleben können, was für sie persönlich am wichtigsten ist. Sie sollen „ihr Ding“ machen können!
Eltern sind das größte Vorbild für ihre Kinder. Wie sollte das Vorbild glaubwürdig sein, wenn ich mich davon abbringen ließe, zu tun, was ich selbst tun möchte? Und dazu gehört, meine Erfahrungen als Autor, Coach und Mentor weiterzugeben. Weil es für mich wichtig ist, zu geben, wenn ich nehme.

Ich habe eine Menge von anderen Menschen gelernt, weil sie bereit waren, ihr Wissen zu teilen. (…) Wenn ich nicht mehr lebe, wird das Erlernte nichts mehr nutzen. Es sei denn, ich teile es mit anderen. Dann kann es ihnen helfen, solange sie leben. Und wenn sie es auch weitergeben, kann es sein, dass dieses Wissen weiterleben wird, wenn ich selbst schon lange nicht mehr da bin.

Dieses Zitat stammt von Thomas Derale aus dem Buch „Big Five for Life – Was wirklich zählt im Leben“. Vielleicht gefällt mir das Werk von John Strelecky deswegen so gut, weil es den selben Geist atmet. Den Geist der gegenseitigen Unterstützung und Ergänzung. Die Welt ist so komplex, das niemand sich alleine darin zurechtfindet. Die Verbindung, die Vernetzung mit anderen, die Nutzung ihrer Kenntnisse und Erfahrungen und das bereitwillige Einbringen der eigenen Qualitäten und Fertigkeiten, all‘ das zusammen bringt den größten Nutzen. Abschottung nach außen, Trennung, Exklusivität bringt allenfalls kurzfristig Erfolg. In Wahrheit ist selbst das nur ein Scheinerfolg, weil er dazu führt, das Know-How für die Lösung von Problemen spät, oder teuer oder gar nicht zur Verfügung steht. Und das ist nicht nachhaltig, weil es wertvolle Ressourcen – Zeit ist davon, weit vor allen materiellen Gütern, die kostbarste – unnötig vergeudet.
Dass Offenheit gegenüber anderen und Hilfsbereitschaft mißverstanden werden können als „Menschenfängerei“, kann ich verstehen. Vor allem, wer noch sehr stark auf sich selbst bezogen ist („Was habe ich davon?“), wird davon ausgehen, dass auch andere Menschen „natürlich“ zuallererst an den eigenen Vorteil denken. Letztlich ist das ein Ergebnis der Orientierung auf „gesellschaftliche Konventionen“, die nicht hinterfragt werden, ob das, was die Gesellschaft (jene, die sich zueienander gesellt haben, weil gemeinsame Interessen verfolgen) bei einer früheren Übereinkunft (convenire = zusammenkommen, übereinkommen) vereinbart hat, weiterhin sinnvoll und zeitgemäß ist.
Wenn es jedoch zu den wichtigsten Dingen gehört, die ich erreichen und leisten will, würde ich mich dann in meinem Streben, die Welt zu entdecken, neue Wege zu gehen und die Erfahrungen mit anderen zu teilen, beeindrucken lassen von Formulierungen anderer Menschen für mein Tun? Wenn jemand keinen besseren Ausdruck findet dafür, dass mein Blog in 18 Monaten rund 200.000 Zugriffe hatte, als „Menschenfänger“, dann ist das eben so. Meine Motive und den Inhalt meiner Beiträge kann das nicht berühren.
Das hat auch meine Tochter verstanden. Und deswegen gibt es für mich auch keinen Grund, die nachbarschaftliche Anteilnahme zum Anlass zu nehmen, alle sonstigen Vorzüge des Lebens auf dem
Land aufzugeben. Mir gefällt es, wo ich lebe, weil ich lebe, wie ich lebe!

PS.: Dieser Beitrag trägt den Titel „für Heinrich“. Vor wenigen Tagen ist ein sehr guter Freund viel zu früh gestorben. Sein Tod hat mich mit Trauer erfüllt und mit Anteilnahme für seine Familie.
Ich habe mich daran erinnert, wie viele schöne Momente wir miteinander geteilt und wie viele gute Gespräche ich mit Heinrich geführt habe. Dafür bin ich dankbar und das wird meine Erinnerung an ihn bestimmen!
Sein Tod ist mir gleichzeitig eine Erinnerung, wie kostbar das Leben ist und eine Mahnung, die Dinge zu tun, die wirklich wichtig sind im Leben! Ihm ist dieser Beitrag gewidmet. Auch deshalb, weil Heinrich konsequent „sein Ding“ gemacht hat und eine ähnliche Einstellung zu Konventionen pflegte: nicht, weil es immer so gemacht wurde, ist etwas gut, sondern es wird gemacht, weil es gut ist. Ist es nicht gut, wird es nicht gemacht. Danke, Heinrich!

3 Kommentare zu „Für Heinrich“

  1. „…eine Mahnung, die Dinge zu tun, die wirklich wichtig sind im Leben!“ Genau so ist es. Gute Zeilen, tun gut. Vor allem noch mal Dein Schlusswort. Danke.

  2. Sabine Buehlmann

    Am 12. Juli des gleichen Jahres ist mein Freund Heinrich gestorben. Es gibt keine Zufälle im Leben. Und so hat Ihr Gedenken an Ihren Freund Heinrich auch mein Gedenken wieder belebt. Vielen Dank für Ihren Beitrag, im Blog und insgesamt – sehr gutes Zitat aus dem Buch!

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