Die Regie bestimmt

Wer an sich denkt, gilt vielen als rücksichtslos und egoistisch. Zu recht?
Vor einigen Monaten habe ich hier schon einmal ausführlich über Egoismus nachgedacht. Heute habe ich mir diesen Beitrag noch einmal genauer angesehen, denn ich bin mit einer besonderen Form des damaligen Anlasses konfrontiert worden: Eine junge Frau hat sich entschlossen, ihre unerfüllte Partnerschaft zu verlassen. Ihr Umfeld versucht, sie moralisch unter Druck zu setzen. Rücksichtslosigkeit und Egoismus lauten die Vorwürfe an ihre Adresse. Und der Fall ist keine Ausnahme: Den eigenen Traum zu leben, gilt vielen als egoistisch und rücksichtslos.
Aber so einfach ist es nicht!

Es kann tatsächlich rücksichtslos sein, etwas zu tun unter Berufung darauf, den eigenen Traum zu leben. Doch handelt es sich dabei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht um einen Traum im wirklichen Sinne dessen, was im Leben zählt. Alles hängt mit allem zusammen, heisst es in der Safari des Lebens.
Was wirklich zählt im Leben, also das, was John Strelecky Big Five for Life genannt hat, und was andere als Herzenswunsch, Lebenstraum oder als Erfüllung bezeichnen, kann daher nicht rücksichtslos sein.
Rücksichtslos, egoistisch kann nur handeln, wer leichtfertig berechtigte Interessen dritter ignoriert, obwohl er oder sie diese Interessen ohne weiteres, also ohne Schaden für sich selbst oder für andere berücksichtigen könnte.

Allerdings kann es sein, dass die Erfüllung eines Menschen Schmerz eines anderen Menschen mit sich bringt. In diesem Fall ist das so: Der eine unerfüllte Partner will die Partnerschaft verlassen. Die Trennung ist für den anderen Partner schmerzhaft. Er kämpft und will, dass der gehende Partner bleibt. Ist es bereits egoistisch, wenn dieser doch geht, also dem Verlassenen Schmerzen zufügt?

Wenn jemand sich ignorant gegenüber Interessen Dritter verhält, obwohl es anders möglich wäre, so ist das egoistisch. Alles hängt mit allem zusammen, und anderen ein WER zu sein, wenn ich das kann, ist Teil der Big Five for Life.
Wer jedoch zugunsten anderer, etwa um ihnen zu gefallen oder aus Schuldgefühlen, darauf verzichtet, Erfüllung zu finden, bleibt nicht nur unerfüllt, sondern tut auch jenen keinen Gefallen, zu deren Gunsten er/sie auf den eigenen (echten) Traum verzichtet.

Der Gehende kann auf das Flehen des Verlassenen dann nicht reagieren, wenn er nicht selbst an die Erfüllung durch das Bleiben glaubt. Kein noch so großes Bitten könnte ein solches „Opfer“ rechtfertigen. Denn ein Opfer wäre es, wenn der Gehende Partner nur deshalb bleibt, weil der Verlassene sonst verzweifelt, weil er/sie kein Glück mehr finden zu können glaubt ohne den „geliebten Partner“.
Niemand kann jedoch die Verantwortung auf sich nehmen, für das Glück oder die Erfüllung eines anderen Menschen sorgen zu müssen. Erfüllung ist ebenso intrinsisch wie Motivation. Menschen können nicht motiviert werden, sie können sich nur selbst motivieren. Und in gleicher Weise können Menschen auch nur selbst für ihre Erfüllung sorgen.

Auf die eigene Erfüllung zu verzichten, ist die wirkliche Rücksichtslosigkeit! Denn es ist die Erfüllung eigener Träume, die Erfüllung des eigenen Zweck der Existenz, die den Menschen Energie und Lebensfreude gibt, auf die jeder Mensch zwingend angewiesen ist, der nicht bloß existieren will, sondern der leben und anderen etwas von der Gabe geben möchte, die jeder Mensch besitzt.

Diese Gabe, die jedem Menschen gegeben ist (und die bei jedem anders ausgeprägt ist), können Menschen nur dann entwickeln und mit anderen teilen, wenn sie sich selbst, ganz persönlich lieben. Und das bedeutet, dass sie sich EIN-gestehen und ZU-gestehen, was für sie wirklich zählt im Leben.
Wenn wir Menschen das tun, also erkennen UND zulassen, was für uns Erfüllung ist, können wir nicht rücksichtslos und auch nicht egoistisch sein.

Wir wären rücksichtslos gegen uns selbst und gegen jene, die uns lieb sind, wenn wir darauf verzichteten, Erfüllung zu finden. Und Erfüllung finden müssen wir, sonst können wir nicht wirklich in tiefem Sinne glücklich und zufrieden sein. Es ist besonders schwer, den eigenen Weg zu gehen, wenn man weiß, dass andere mit Schmerzen zurück bleiben. Oft ist das, was sich bei ihnen in Schmerz und in Widerstand äußert, jedoch nichts anderes als Angst. Und fehlendes Vertrauen, dass auch sie ihre Erfüllung finden können.

Ich wünsche allen Menschen, dass sie erkennen mögen, was für sie wirklich zählt im Leben. Und dass sie es zulassen und ihren Weg gehen. Auch gegen Widerstände. Es sind diese Widerstände, von denen Ma Ma Gombe in Kapitel 15 der Safari des Lebens erzählt.

Dort sind es die Schauspieler im Bühnenstück des eigenen Lebens. Gombe wurde von ihrem Ehemann misshandelt, bis sie ihr Kind verlor und ihn endlich verließ. Weil sie nicht wusste, wohin sie gehen soll, schloss sie sich einer Reisegruppe an, die wie es sich herausstellte, aus Autoren und Schriftstellern bestand. Von ihnen lernte Gombe, was ein Drama ist. Ein Bühnenstück, mit einer Botschaft an das Publikum und mit zahlreichen Rollen, die notwendig sind, damit das Publikum die Botschaft versteht und sich zunutze machen kann. Gombe betrachtet daraufhin ihr Leben als Drama, als Bühnenstück, und versteht, dass sie selbst die Rolle des Regisseurs einnimmt. Es ist der Regisseur, der den Schauspielern vorgibt, wie sie ihre Rollen ausfüllen sollen, damit die Botschaft ankommt. Und der ihnen sagt, wann sie die Bühne verlassen sollen.

Manchmal sind Rollen notwendig, in denen sich der Schauspieler extrem unbeliebt benehmen muss. Weil sonst die Botschaft zu leicht und beliebig daherkommt und nicht ernst genommen wird. Diese Schurken-Rollen sind undankbar, weil der Schauspieler, der sie einnimmt, riskiert, mit der Rolle identifiziert zu werden, wenn er sie zu real spielt. Daher stellt sich Gombe die Schauspieler der unbeliebten Rollen so vor, dass sie ihren Text sprechen, damit die Botschaft verstanden wird. Aber dass sie hinter der vorgehaltenen Hand dem Hauptdarsteller zuraunen, dass es nur die Rolle ist, die sie spielen, und dass er/sie sich freimachen soll und die Botschaft verstehen soll: jeder Mensch ist Regisseur des eigenen Stücks des Lebens. Und der Regisseur bestimmt, welche Rolle welchen Raum einnimmt!

1 Kommentar zu „Die Regie bestimmt“

  1. Spannendes Thema… Gerade im einleitenden Beispiel wird deutlich, was der Druck aus dem Umfeld „anrichten“ kann. Natürlich sollte ein entscheidender Schritt im Leben gut überlegt sein – gerade wenn er andere tangiert. 
    Ein wichtiger Satz ist aus meiner Sicht „Wir wären rücksichtslos gegen uns selbst und gegen jene, die uns lieb sind, wenn wir darauf verzichteten, Erfüllung zu finden.“ Ja, denn es wäre ja auch rücksichtslos zu bleiben, unglücklich zu werden (zu sein) und dem Partner etwas vorzumachen…
    Widerstände anzunehmen und damit umzugehen ist ein unglaublich wichtiger Punkt im Leben. Wachstum ist quasi garantiert…

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