Millionärs-Kinder und Kindermillionäre

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Deutschland und die angrenzenden Länder in Europa sind verhältnismässig arm an Bodenschätzen, gemessen am Reichtum an Öl, Gas und seltenen Erden, die sich in den Tiefen Sibiriens, Afrikas oder Australiens befinden. Volkswirtschaftlich wird daher argumentiert, dass unser Lebensstandard stark davon abhängt, wie es uns gelingt, die Schätze in den Köpfen unserer Kinder zu nutzen. Deutsch gilt als Sprache der Dichter und Denker, und auch Ingenierskunst oder Erfindergeist sind spezifisch deutsche Begriffe die auf den Zusammenhang zwischen intellektuellem Vermögen und wirtschaftlicher Potenz hinweisen. Umgekehrt gibt es im Politischen die Debatte um Chancengleichheit, wonach Bildungschancen in hohem Maß von der sozioökonomischen Stellung und Bildungsgrat des Elternhauses abhängen. Millionärskinder hätten es leichter als Kinder aus ärmeren Familien. Interessante Forschungen zeigen, dass dies so nicht stimmt. Nicht Millionärskinder haben bessere Chancen, sondern Kinder-Millionäre!

Die amerikanischen Wissenschaftler Betty Hart und Todd Risley haben herausgefunden (PFF), dass jene Kinder die besseren Bildungschancen haben, die von ihren Eltern früh mit Worten beschenkt werden. Im Durchschnitt sprechen Eltern 1500 Worte pro Stunde zu einem Säugling. Manche Eltern sogar bis zu 2100, andere nur 600. Hart und Risley konnten nachweisen, dass es jene Kinder sind, deren Eltern viel zu ihnen Sprachen schon als sie nicht davon ausgehen konnten, dass sie aktiv verstanden wurden, später die besten Ergebnisse in der Schule und im Studium erzielen.
Weil besonders die ersten dreissig Monate entscheidend sind, sprechen die Forscher von der 30 Millionen Lücke. Diese Zahl beschreibt jene Differenz an Worten, die Kinder von viel sprechenden Eltern in diesem frühkindlichen Entwicklungsstadium mehr hören als Kinder von wenig sprechenden Eltern. Und noch etwas fanden Hart und Risley heraus: die Art und Weise, wie die Eltern sprechen, ist ebenfalls wichtig: handelt es sich um eher kurze Sätze („Jetzt gehen wir schlafen„, „da ist der Brei„), entwickeln sich die Gehirne der Kinder weniger gut als wenn die Eltern längere, offene Sätze verwenden, was die Forscher „Sprachtanz“ (im Unterschied zum „Business-Gespräch“ der kurzen Sätze) nannten.
In jedem Fall sei die Art und Intensität sprachlicher Zuwendung und Aufmerksamkeit wesentlich entscheidender für die kognitive Leistungsfähigkeit der Kinder als die sozio-ökonomische Stellung der Eltern. Auch wenn es hier einen gewissen Zusammenhang zwischen Bildungsgrad oder Einkommen von Eltern und ihrer sprachlichen Zuwendung für Kinder gebe, sei es doch gerade diese wenig kostenintensive Zuwendung für Kinder, die den akademischen Erfolg von Kindern aus ärmeren Elternhäusern erkläre (und die schlechteren Leistungen von Kimdern von wohlhabenderen, wenig sprechenden Eltern). Umgekehrt bedeutet dies auch, dass Versuche des Staates, die Früherziehung von Kindern durch einen Ausbau von Betreuungseinrichtungen zu verbessern weniger auf die Anzahl von Betreuungsplätzen als auf einen günstigen Betreuungsschlüssel achten müssen. Die Gruppen müssen klein genug sein, damit sich die entsprechend ausgebildeten, sprachbegabten Erzieher/innen intensiv den Kindern zuwenden können. Nur so machen sie die Kinder zu Wortschatz-Millionären!

2 Kommentare zu „Millionärs-Kinder und Kindermillionäre“

  1. Es gilt vielleicht noch anzumerken, dass nicht nur die Sprachfähigkeit und die Zeit ausschlaggebend für die Entwicklung der Kinder ist, sondern vor allem die Beziehungsqualität zwischen Kind und Erwachsenem! Die Basis für Beziehungsfähigkeit liegt jedoch in der eigenen inneren Stabilität und Differenziertheit! Depressive oder belastete Eltern haben oft wenig inneren Spielraum für die Beziehung zu ihrem Kind und oft auch wenig Sprache- dies gilt auch für KindergärtnerInnen, LehrerInnen und ErzieherInnen.

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