Welche Assoziation ruft Löwenzahn hervor? Für mich bedeutet die gelbe Blüte auf ihrem langen hohlen Stil vor allem eines: Neugier. Wissensdurst und Lebenskraft sind weitere Eigenschaften, die ich mit dem Löwenzahn verbinde. Das liegt wohl an Peter Lustig und seiner Kindersendung gleichen Namens, die seit Kindertagen (und erst recht seit der Elternzeit) die Sonntag-Vormittage verkürzen. Um so mehr war meine Neugier geweckt, als ich das Cover eines Buches von Bronnie Ware entdeckte. Und der Titel versprach nicht minder Spannung: The Top Five Regrets of the Dying, zu deutsch „die fünf Dinge, die Sterbende am meisten bedauern.“ Wie sich herausstellen sollte, handelt es sich um ein aussergewöhnlich bewegendes und anregendes Buch, das hoffentlich bald auch in deutscher Sprache verfügbar sein wird.
Wie kaum ein zweites Buch atmet es den Geist der Big Five for Life. Vor allem natürlich, weil es die Ermahnungen von Sterbenden Menschen zusammenfasst, die Bronnie Ware im Laufe ihrer Jahre als Palliativ-Pflegerin in Australien auf der letzten Etappe ihres diesseitigen Lebens begleitet hat und die sich meistens zu spät daran erinnern, wie sinnlos es ist, ein Leben danach auszurichten, was andere für richtig, wichtig oder möglich halten. 29.200 Tage beträgt die statistische Lebenserwartung und auch wenn sich diese Zahl für sich noch großzügig darstellt, sieht die Rechnung schon anders aus, wenn man das Lebensalter mit 365 multipliziert und von 29.200 Tagen abzieht. Es verbleibt eine deutlich geringere Spanne, in der wir tun können, was uns wichtig ist. Schnell kann es zu spät sein dafür, so dass nur noch Reue und Bedauern bleibt darüber, was nicht getan, gesehen oder erlebt wurde.
Bronnie Ware hat die fünf Dinge, die Sterbende am meisten bedauern, so zusammengefasst:
- Nicht den Mut gehabt zu haben, das eigene Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben, sondern danach, was andere erwarteten.
- Zu viel gearbeitet zu haben.
- Die eigenen Gefühle unterdrückt zu haben.
- Den Kontakt zu Freunden nicht gepflegt zu haben.
- Das eigene Glück vor Unzufriedenheit nicht erkannt zu haben.
Doch das Buch ist mehr als eine Auswertung von Gesprächen, die eine Palliativ-Pflegerin aus Australien mit sterbenden Patienten geführt hat. Es ist auch die Geschichte der Big Five for Life von Bronnie Ware. Und damit ist das Buch eine Bestätigung der Big Five for Life Technik.
Die ehemalige Bankangestellte schildert sehr persönlich und nachvollziehbar, wie sie sich davon gelöst hat, einen „sicheren Job“ als Lebenszweck zu betrachten. Genau das wurde ihr von ihrer Familie geraten, weshalb sich Bronnie nach der Schule darauf einließ, das Bankgeschäft zu erlernen. Spätestens als dort die Dienstleistung am Schalter zugunsten von Vertriebsielen für den Abschluss von Versicherungspolicen oder anderen Leistungen immer mehr in den Hintergrund trat, deren Bedarf beim Kunden erst geweckt werden musste, war das einzig sichere an dem Job für Bronnie, das er sie kaputt machen würde. Es gab keine Verbindung zum Zweck ihrer Existenz, machte keinen Sinn.
Was ihr ZDE sein könnte, ahnte Bronnie anfangs noch nicht. Doch sie machte sich zielstrebig daran, herauszufinden, was wirklich zählt im Leben. Und zwar indem sie eine Liste machte aus jenen Dingen, die sie gut konnte, und aus jenen, die ihr Spaß machten. Kreativität war das gemeinsame in beiden Listen. Bronnie wusste, sie war eine Künstlerin.
Dieses Ziel hat sie nicht nur nie aus den Augen verloren, sie hat sich ihm Schritt für Schritt genähert. Dazu war sie bereit, neue Wege zu testen. Um Geld zu sparen für Reisen, die sie unternehmen wollte, hat sie sich auf die verschiedensten Jobs eingelassen: Von der Tellerwäscherin über die Barkeeperin bis zur Verlagsangestellten hat Bronnie Ware viele Tätigkeiten und noch mehr Menschen kennen gelernt, was zu immer neuen Angeboten, Anlaufstellen und Möglichkeiten führte.
Um keine Hypothek aufnehmen zu müssen für ein Eigenheim und um sich die Miete zu sparen, nahm Bronnie eines Tages ein Angebot auf Kost und Logis bei einer alten Bäuerin in England an, die sie im Gegenzug im Alltag betreute. Aus dieser Betreuungsbeziehung entwickelte sich Bronnie nach ihrer Rückkehr nach Australien schliesslich zur Palliativpflegerin und Sterbebegleiterin, nachdem eine ihrer Gastgeberinnen krank geworden war, gepflegt werden musste und schliesslich starb.
Während der gemeinsamen Zeit entwickelte sich zwischen Bronnie und den Menschen, für die sie sorgte, ein intensives Vertrauensverhältnis, was sich im Buch sehr gut nachvollziehen lässt. Es sind diese vertrauensvollen Gespräche, aus denen Bronnie jene fünf Dinge substrahiert hat, die Sterbende am meisten bedauern.
Mitgefühl ist eine Voraussetzung, um anderen Menschen ein wertvoller Begleiter zu sein. Erst recht, wenn es sich um die Begleitung auf dem letzten Lebensabschnitt handelt. Mitgefühl für uns selbst ist jedoch ebenso wichtig, sagt Bronnie Ware. Sonst können wir nicht unser Leben leben, weil wir nicht spüren, was unsere Big Five for Life sind, bzw. nicht zulassen, dass sie existieren. Eine der stärksten Botschaften dieses Buches, wie ich finde. Lassen wir nicht zu, dass irgendwann eine junge Bronnie Ware an unserem Sterbebett sitzt und aufzeichnet, was wir bedauern unterlassen zu haben! Worauf warten wir also?
P.S.: Um es mit Peter Lustig zu sagen: Ihr seid ja immer noch da?! Abschalten! Und tun, sehen oder erleben, was wirklich zählt – in eurem Leben!
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