Eine Schwalbe macht keinen Sommer

Der Fall eines betrügerischen Journalisten in der SPIEGEL-Redaktion wird aktuell heftig diskutiert und von allerhand Sorgen begleitet. Sorgen um den Zustand der Demokratie, die in Gefahr gerate, wenn die freie Presse nicht mehr glaubhaft die Mächtigen kontrollieren könne, weil sie ob eigener Betrüger selbst angreifbar geworden sei.
Was mich umtreibt ist die Sorge, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir “den Journalismus” so hoch hängen, wie wir es tun, wenn wir in den Chor der Katastrophen-Sänger zum Fall Relotius einstimmen.
Ich möchte begründen, wo die Dialektik in dem Fall liegt, bzw. warum wir uns selbst keinen Gefallen tun.
Ausgangspunkt ist die auch heute in der ZEIT auf Seite 2 geäußerte Hypothese, dass es ein Riesenfiasko für den Journalismus per se sei. Wörtlich schreibt dort Holger Stark:

Zugleich berührt die Affäre aber auch den Journalismus an sich, der in Zeiten von Fake-News ohnehin im Blitzlichtgewitter steht. In jeder Branche passieren Fehler. Aber der Journalismus ist keine Branche wie jede andere. Ihm kommt eine Wächterfunktion zu und damit eine besondere Verantwortung. Journalisten haben in einer Demokratie die Funktion der Kontrolle der Mächtigen inne. Wer andere kritisiert, der steht selbst unter Beobachtung, und daran ist nichts Falsches. Wie glaubhaft kann man andere kritisieren, wenn man selbst nicht der Wahrheit verpflichtet ist? Das ist die eine, große Frage, die zuvorderst, aber nicht nur den Spiegel berührt.

Darin schwingt eine problematische Unterstellung mit: Der Journalimus muss per se glaubwürdig und wahr sein, um Kontrollieren zu können.
Ich glaube, das ist unmöglich! Und ich will es auch nicht! Ich möchte – und muss – selbst bewerten. Und zwar auf der Basis mehrere Quellen, die jede für sich aber durchhaus fehlbar sein darf. Und fehlbar sein muss, sonst wäre sie nicht von dieser Welt.
Es kann nicht alles wahr sein, was im Spiegel steht. Genauso wie nicht alles wahr sein kann, was in der BILD steht. Oder im Tagesspiegel, oder in der ZEIT. Oder der taz. Wenn da ein Fälscher auffliegt, dann ist das eine beruhigende Nachricht, keine verstörende, finde ich. Sie ist nur insoweit verstörend, als sie offenbart, wie weit wir bereits auf dem Weg waren, unsere Verantwortung zum kritschen Urteil an “die Presse” abzugeben.
Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie, gewiß! Aber ihre Bedeutung erwächst aus der Einsicht, dass nur eine Vielfalt der Beobachter und Berichterstatter eine annähernde Gewissheit gewährleistet, dass tatsächlich berichtet wird, was ist. Ein einziger Titel, ein Schreiber, ein Scoop kann das gar nicht leisten. Ein Scoop ist ohnehin nur dann ein Scoop, wenn andere, die später auf die Story einsteigen, den Inhalt bestätigen und im Zweifelsfall auch weiter ausbauen. Also auch da: Vielfalt!
Einzelne Journalisten, einzelne Redaktionen können unmöglich auf Dauer so leuchttürmerisch bleiben, wie wir sie heute angesichts von Relotius wieder herbeisehnen.
Nehmen wir das Beispiel Merz/AKK.
Heute kommt die ZEIT auch mit einem AKK-Interview, und auch das wird wieder mit Spin versehen. AKK kann Kanzler, sagt sie. Und damit wird der Konflik mit Merz befeuert, auch im Text, wo Bernd Ulrich wiederholt, er habe einen Ministerposten “für sich reklamiert.”

ZEIT: Merz fand das Gespräch wohl nicht ganz so gut, sonst hätte er nicht kurz danach öffentlich einen Ministerposten für sich reklamiert.

Das hat er aber nicht! Er hat – wie heute AKK – auf eine gestellte Frage geantwortet. Er wurde also zur Stellungnahme aufgefordert. Früher hatten wir in den Meldungen sogar noch den Hinweis “erklärte auf Nachfrage”. Heute fällt es in der Interpretation völlig unter den Tisch, dass gefragt wurde. Und damit fällt auch der Hinweis unter den Tisch, dass es auf Kontext ankommt, dass Kontext fehlt.
Auszug aus dem Interview der FAZ mit Friedrich Merz. Er “reklamiert” kein Ministeramt, er sagt auf Nachfrage, dass es für ihn in Frage käme. Dass er sich das Amt zutraut.
Hier muss sich “der Journalismus” fragen lassen, wie er/sie/es es mit der eigenen Verantwortung hält. Natürlich geht es dabei um eigene, journalistische Interessen des jeweiligen Titels. Man will und braucht Auflage, Klicks, Nennungen, Zitate.
Oder glauben wir, es sei doch eher die mephistophelische Diabolik von Politikern, die sich (wie im Zweifel Merz so dann auch AKK) von willfährigen Handlangern in Redaktionsstuben eine bestellte Frage stellen lassen, um eigene machtgeile/machohafte/anmaßende Botschaften unters naive Volk zu bringen (nichtzutreffendes bitte streichen)? Denn dann wäre es erst recht nicht weit her mit der Verantwortung der Journalisten, bzw. “des Journalismus”.
Die Wahrheit liegt in der Mitte, meine ich: es gibt unglaublich viele engagierte gute Journalisten, aber es gibt nicht den einen guten Journalismus, der nun mit Relotius Schaden genommen hat. Allenfalls haben wir Schaden erlitten, weil wir schon viel früher die eigene Verantwortung zum Faktencheck durch Lektüre mehrerer Quellen mit Leben hätten füllen sollen.
Selbst ohne Täuschungsabsicht ist guter Journalismus immer eine Teamaufgabe. Und die hat auch hier funktioniert. Der Spiegel-Kollege, der dran geblieben ist. Andere, die auch schon früher hingeschaut und gewarnt hatten. Es gab sie.
Eine Schwalbe macht keinen Sommer, und ein guter Bericht, ein Journalistenpreis noch keine unabhängige Presse. Umgekehrt aber auch genauso: ein schwarzes Schaf versaut nicht die Herde. Solange die Herde selbst sich nichts auf ihre weiße Wolle einbildet.

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