Freiheit und Verantwortung war das Thema meines Beitrags auf der gestrigen zweiten ohfamoosen Unkonferenz in Essen. Einen Abend und einen Tag lang haben engagierte Frauen und Männer „das Diskutieren und Vorantreiben von Ideen, die unsere Gesellschaft bewegen“, in den Mittelpunkt ihrer Beratungen gestellt.
Freiheit und Verantwortung sind ein eng verknüpftes Begriffspaar. Viktor E. Frankl, Neurologe und Begründer der Logotherapie hat auf die Verantwortung hingewiesen, die dem vernuftbegabten Menschen aufgegeben ist, den gedanklichen Raum zwischen Reiz und Reaktion zu erkennen und auszufüllen. „In unserer Reaktion liegt unser Wachstum und unsere Freiheit“, so Frankl.
Unternehmen seien nicht dazu da, Verantwortung zu tragen, schrieb dagegen im Jahr 1971 der spätere Nobelpreisträger Milton Friedman. Es handle sich nicht um natürliche Personen, sondern um eine Konstruktion verschiedener juristischer Beziehungen und Verträge. Diese hätten allein einen Zweck: Gewinne zu erwirtschaften.
Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat es jüngst abgelehnt, dass sein Unternehmen Verantwortung übernimmt, in dem es politische Werbung vor Veröffentlichung auf Wahrheitsgehalt überprüft und unwahre Behauptungen ablehnt. Die Nutzer sollten selbst entscheiden, so Zuckerberg vor dem US-Congress.
Facebook erweckt damit den Anschein, es verhalte sich neutral und sei eine Plattform für Meinungsfreiheit. Tatsächlich spricht viel dafür, dass dies nichts anderes ist als eine zynische Verteidigungsstrategie.
Facebook hat es durch die Programmierung seines Algorithmus in der Hand, einen Post auf- oder abzuwerten. Manche Posts werden so sichtbar, andere tauchen nicht in der Timeline eines Nutzers auf. Wie dieser Algorithmus funktioniert, ist Betriebsgeheimnis, aber zahlenden Kunden wird damit ein Vorrecht, bzw. eine Garantie eingeräumt, dass sie bei bestimmten Zielgruppen in die Timeline gelangen. Neutralität ist etwas anderes.
Die Tatsache, dass in diesem Fall Facebook Verantwortung (für den Wahrheitsgehalt) ablehnt, ruft inzwischen Kritiker aus Politik und Medien auf den Plan, die gesetzliche Maßnahmen fordern, um den „Konzern der bezahlten Lügen“ (DIE ZEIT) zu zwingen, sich seiner Verantwortung zu stellen. Das ist wohl auch angebracht.
Es entbindet die Nutzer allerdings nicht davon, sich selbst zu fragen, welche Verantwortung jeder einzelne trägt.
Immer deutlicher wird, dass Profit aus der Vermarktung von Nutzerdaten das eigentliche Ziel für Facebook zu sein scheint. Welche Folgen die zu diesem Zweck eingesetzten Mittel für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt oder ihre Werte haben, ist ganz offensichtlich nachrangig. Dass diese Folgen sogar die Demokratie gefährden können, indem sie illiberale Kräfte begünstigen, wird damit nolens volens auch zu einer Angelegenheit von Relevanz für alle Nutzer.
Zu verlangen, dass die Politik einen erkannten Misstand abstellt, man selbst aber diesen Misstand mit ermöglicht, bzw. den Urheber des Übels durch freiwillige Mitwirkung am Geschäftsmodell ökonomisch unterstützt, ist mehr als widersprüchlich. Dennoch geschieht genau das: Nutzer beschweren sich über die mangelnde Ethik von Facebook, bleiben aber weiter auf Facebook aktiv. „Ich kann nicht darauf verzichten, meine Leistung oder meine Produkte via Facebook anzubieten. Es ist einfach zu wichtig, weil dort meine Kunden sind,“ lautet ein oft geäußertes Argument.
Wer so denkt sollte sich bewusst machen, das Freiheit dann nicht mehr gegeben ist, wenn Angst vor ökonomischen Folgen die ausschlaggebende Motivation für eigenes Handeln ist. Auch das zweite häufig geäußerte Argument, ein einzelner Nutzer, der sich von Facebook verabschiede, mache keinen Unterschied, ist nur scheinbar plausibel. „Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst,“ mahnt hier Mahatma Gandhi. Eigenes Verhalten als Botschaft an die Menschen, die dich sehen. Sie können nur folgen, wenn du gehst.
Gehen an sich ist natürlich kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, Facebook zu schaden, es kleiner zu machen. Gegen Facebook ist keine konstruktive Position. Aber das Bleiben in einem schlechten Facebook ist es ebensowenig. Konstruktiv, für ein besseres Facebook, wird es dann, wenn eine klare Botschaft an Facebook und die eigenen Freunde gesendet wird: Eine Aufforderung zu verantwortlichem Verhalten sollte klar – und ultimativ an Facebook gerichtet werden. Man darf getrost davon ausgehen, dass das Unternehmen die Kommunikation in eigener Sache, also Posts, die sich an Facebook selbst oder seine Top-Repräsentanten richten, auswertet. Gleiches gilt für die Beweggründe von Kündigungen. An-Kündigungen sind also ein wichtiges Mittel für alle, die ein besseres Facebook wollen.
Wie kann das konkret aussehen? Tatsächlich ähnlich wie es bereits tausende von Nutzern gemacht haben: Einen Post auf der eigenen Profilseite, in der angekündigt wird, welche Veränderungen erwartet werden: Sicherstellung eines zivilisierten Umgangs der Nutzer miteinander, Prüfung von Inhalten, die gegen Recht und Gesetz verstoßen könnten, erst recht, wenn es sich um bezahlte Werbung handelt. Und die Ankündigung einer Konsequenz bei Nichterfüllung: Löschung des eigenen Accounts. Wie lang auch immer die selbst gesetzte Frist sein sollte, es gibt eine weitere vierwöchige Option, die Löschung rückgängig zu machen. Facebook selbst räumt diese Möglichkeit ein (ganz offensichtlich vor allem deshalb, weil sie um den Sucht-Faktor ihrer Anwendung wissen und hoffen, dass viele ihren Entschluss rückgängig machen werden, weil sie nicht mehr frei entscheiden können, sondern von Entzugserscheinungen getrieben werden. Je mehr Nutzer die Löschung tatsächlich ankündigen und vollziehen, um so größer wird die Chance, dass Facebook erkennt, wie ernst es seinen Nutzern mit der Forderung nach verantwortlicher Unternehmenspolitik ist – und seinen Kurs tatsächlich ändert.
Frei bist du, lieber Facebook-Nutzer, wenn es dir egal ist, ob vor Ablauf deiner dreißig Tage währenden Übergangsphase bis zur endgültigen Löschung deines Accounts durch Facebook genügend gleichlaufende Signale ankommen. Sorgst du dich, dass es zu wenige sein könnten, bist du nicht mehr frei. Und dann ist es um so wichtiger, dass du etwas unternimmst!