Ein Satz, den ich häufig höre von Menschen, mit denen ich über das Konzept der Big Five for Life spreche lautet so:
„Zu schön, um wahr zu sein…“
Viele Menschen halten das Konzept schlicht für eine nette Geschichte ohne große praktische Relevanz. Das ist niemandem vorzuwerfen. So sind die gesellschaftlichen Realitäten, wie sie sich seit Jahrhunderten entwickelt haben. Nicht zufällig wird der Alltag als „Ernst des Lebens“ bezeichnet, von dem sich viele Menschen so haben vereinnahmen lassen, dass sie kaum noch etwas von ihrem Leben erwarten. Abgesehen jedoch davon, dass ein zentraler Teil des „Big Five“-Konzeptes darin besteht, sich einen Sinn für „geduldsamen Irrealismus“ zu entwickeln und zu bewahren, also das scheinbar Unmögliche mit kreativer Geduld beharrlich anzustreben, gibt es interessante wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie einfach das Leben sein kann, wenn wir „spielerisch“ mit den uns bietenden Herausforderungen des Lebens umgehen – und unsere Big Five for Life leben!
Das zumindest ist die These von Professor Peter Gray, einem Entwicklungspsychologen am Boston College. Er hat erforscht, dass es den Menschen besser geht, wenn sie ihr Sozialwesen und damit ihr Leben als „Spiel“ organisieren. Und zwar als Spiel ohne Sieger, ohne Wettbewerb. Das ist es, was die Menschheit über 99,9 Prozent ihrer Existenz immer getan hat, solange sie Jäger und Sammler waren. Wer die Seßhaftigkeit und arbeitsteilige Gesellschaft als per se fortschrittlicher betrachtet, so Gray, verkenne, dass der mit der Entwicklung einer zunächst seßhaften Argar- und späteren Industriegesellschaft verbundene „Fortschritt“ nur in kurzfristiger Betrachtung vorteilhaft gewesen ist. Langfristig habe dies enorme Probleme von Überbevölkerung und Umweltzerstörung durch den Menschen mit sich gebracht. Es seien die Prinzipen von Autorität und Wettbewerb, von Status und Hierarchie sind, welche zu Ehrgeiz, Wachstumsgläubigkeit und Gier führen.
Gray lässt sich mit seiner These nicht als naiver Ideologe abtun. Jäger und Sammler seien per se keine besseren Menschen. Auch sie kennen Gewalt und Exzesse. Allerdings haben die Forschungen gezeigt, dass spielerisch organisierte Kulturen, die es jenseits der Zivilisation bis heute gebe, Regeln und Verhaltensweisen entwickelt haben, die die menschliche Tendenz zu Aggressivität und Dominanz minimiert haben, indem sie die gleichfalls menschliche Tendenz zu spielerischem Verhalten maximiert haben.
Nun, was hat das mit den Big Five zu tun? Sehr viel! Dazu ist es notwendig zu untersuchen, was unter dem Begriff „Spiel“ zu verstehen ist? Spiel, so Gray, umfasst fünf spezifische Kern-Elemente
Insofern wird deutlich, dass „Spiel“ keine auf Kinder beschränkte Tätigkeit sein muss. Selbst Tätigkeiten, die der eigenen Daseins-Sicherung dienen, wie Jagen oder Sammeln, und die als solche heute als „Arbeit“ bezeichnet werden, können spielerischer Natur sein. Sie sind es im Idealfall auch, denn die Definition von Spiel ist weitgehend identisch mit dem hochproduktiven Zustand, den Mihaly Csikszentmihaly als Flow definiert hat. Man tut was man will, und ist dabei hochproduktiv und motiviert. Der Energiesaldo steigt, obwohl Arbeit geleistet wird.
Nichts anderes ist mit dem Konzept der Big Five for Life gemeint.
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Nun ist jedoch der Flow kein typischer Zustand in modernen Unternehmen und Organisationen. Erst recht nicht im Schulwesen, von wo aus das wettbewerbsorientierte Leistungsdenken in der Gesellschaft verbreitet wird. „Die Schule ist der am extremsten auf Wettbewerb gegeneinander getrimmte Ort in unserer Gesellschaft. Die Schüler werden auf Sieg oder Niederlage getrimmt,“ sagte Gray am 15. Juni 2010 in einem Interview mit der Journalistin Layna Berman im öffentlichen Sender KPFA.
Gray bezieht seine Aussagen zum Bildungswesen auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch auch im hiesigen Schulwesen wird traditionell wenig auf die spezifischen Neigungen von Schülern geachtet. Förderung dieser Eigenschaften findet nur in sehr begrenztem Umfang. Der Kanon an Pflicht-Fächern wächst beständig. Gleichzeitig wird die Schulzeit verkürzt und damit der Lehrstoff weiter komprimiert. Jahrgangsübergreifendes Lernen, nach Gray eines der Erfolgsmodelle für Lerngruppen, findet kaum statt. Frustration und Überforderung der Lehrer mit Bürokratie tut ein Übriges, um Schule in Deutschland in weiten Teilen zu mehr oder weniger zielorientiertem Verwaltungshandeln werden zu lassen, in dem die Erfolgskriterien von außen auf die Schüler gestülpt und diese so in hohem Maße demotiviert werden.
Dabei gibt es hoffnungsvolle Ansätze nicht nur in den USA, sondern auch in ersten viel versprechenden Ansätzen in Deutschland, wo sich engagierte Trainer wie Petra Tubach allerdings noch viel zu stark am förderalen Bildungs-Bürokratismus abmühen, um begabungsgerechte Förderung von Schülern in das Schulsystem einzuführen.
Ist dies ein Grund zur Freude oder zum Verzweifeln? Als Optimist bin ich der selben Meinung wie Roz Savage. Die zierliche Powerfrau aus England hat nicht nur ihre Big Five gelebt, indem sie zunächst den Atlantik und danach – als erste Frau überhaupt – auch den Pazifik allein im Ruderboot überquerte. [ted id=844]
Sie hat auch erkannt, dass es kleine und individuelle Schritte sind, die den Unterschied machen. Deswegen gründete sie die Platform ecoheroes.me.
Roz hat erkannt, dass es nicht die großen Katastrophen waren, die die Menschheit an diese kritische Marke ihrer Geschichte gebracht haben, sondern kleine, an sich unbedeutende Handlungen einzelner. Und genau diese kleinen individuellen Schritte braucht es, damit sich etwas ändert. Im Umweltschutz mit ecoheroes.me – und im Bildungswesen mit Menschen wie Petra Tubach!
mal wieder sehr motivierend & inspirierend! dein gruppen-newsletter ist der einzige bei xing, den ich tatsächlich lese – und es lohnt sich jedesmal!
danke dafür!
silke
Liebe Silke,
Danke für diesen sehr schmeichelhaften Kommentar! Ich freue mich sehr darüber! Die Beiträge schreibe ich, um – für mich persönlich – zu reflektieren. Ich veröffentliche sie danach, um zurück zu geben, was ich an input bekomme. Es ist schön, wenn die Texte dir – und vielleicht anderen – etwas beitragen! VG Uwe
Hallo Uwe, sprichst mir aus der Seele, ich erlebe ebenso das eigentlich kaum jemand, die Kraft, Stärke und Simpelheit von Big Five for Life wirklich versteht. Vielleicht tun wir es selbst nicht einmal.Was im Schulsystem passiert erleben wir gerade hautnah bei unserer 12 jährigen Tochter. Mit Pädagogik und Führung hat das nichts mehr zu tun. Der Frust und die Überforderung der Lehrer ist deutlich zu sehen.
Ich bin froh dieses simple Lebensrezept zu kennen, leben und lehren zu können, es ist ein echtes Abenteuer. Ich weiß wir werden noch viele Museumstage erleben.
Gimme Big Five for Life
Andy